Sozialraumanalyse im Kindergarten und Kita definition

 

Eine Krippe oder Kita ist keine isolierte Einrichtung. Sie ist eingebunden in eine sozio-ökonomische Infrastruktur - und das wirkt sich nicht zuletzt auf die pädagogische Arbeit aus. Ein Kindergarten, der im Stadtzentrum einer Großstadt liegt, hat andere Herausforderungen zu bewältigen als eine Einrichtung auf dem Land, die überwiegend von Kindern besucht wird deren Eltern und Großeltern schon in dem betreffenden Ort aufgewachsen sind. Welche ergänzenden Angebote benötigt werden und wie eng eine Kita-Leitung mit Behörden, Schulen und anderen externen Experten zusammenarbeiten muss, hängt davon ab wo eine frühpädagogische Einrichtung sich befindet und welche Familien dort ihre Kinder anmelden. Um angehende Erzieher für diesen soziologischen Ansatz zu sensibilisieren, muss häufig eine sogenannte Sozialraumanalyse durchgeführt werden. In der Regel wird dies für jede Praxiseinrichtung gefordert, in der die Studierenden ein Praktikum absolvieren. Aber was genau gehört in eine schriftliche Sozialraumanalyse und wie lassen sich die gesammelten Daten und Fakten zu einem spezifischen Sozialraum analysieren und für die pädagogische Arbeit nutzen?

Ein Buch was wir an der Stelle empfelen können ist Das Konzept Sozialraum: Vielfalt, Verschiedenheit und Begegnung vom Vandenhoek und Ruprecht Verlag.

 

 

500-Seelen-Dorf oder Großstadtdschungel – Kinder wachsen heute sehr unterschiedlich auf

 

„Auf dem Land ist die Welt noch in Ordnung!“

Solche Klischees entsprechen keinesfalls immer der Wahrheit, aber niemand wird bestreiten, dass Kinder in ländlicher Umgebung anders aufwachsen als Kinder in der Stadt. Während in manchen städtischen Kitas die Nachfrage nach verlängerten Öffnungszeiten immer größer wird, schließen einige Einrichtungen auf dem Land Freitags noch um 14 Uhr ihre Türen, weil es keinen Bedarf für längere Betreuungszeiten gibt. Die Mütter arbeiten in Teilzeit, die meisten Kinder werden auch unter der Woche vor dem Mittagessen abgeholt. Sind die Eltern verhindert, übernehmen Großeltern die Betreuung. Kinder mit Migrationshintergrund findet man in Einrichtungen mit ländlichem Einzugsgebiet eher selten, Sprachbarrieren und soziale Probleme gibt es kaum. Wie anders ist die Lage hingegen in größeren Städten: Weil Betreuungsplätze begehrt sind und die Qualität der Kitas sehr unterschiedlich ausfällt, eröffnen private Träger Krippen und Kindergärten, die den Kleinen und ihren Familien den erwünschten Service im Hinblick auf Öffnungszeiten und pädagogische Förderung bieten. Dort wird täglich frisch gekocht, die Kinder lernen Englisch von Muttersprachlern und das Waschen der Wechselwäsche übernimmt die Hauswirtschaftskraft. So geht es in Stadtteilen zu, in denen überwiegend gut situierte Familie leben. In sogenannten „Problemvierteln“ sieht es anders aus: Dort leben viele sozial schwache und von Armut bedrohte Familien. Einige haben einen Migrationshintergrund, mussten Krieg und Flucht erleben. Dass Kinder morgens hungrig in die Kita kommen ist keine Seltenheit und anstatt Englisch lernen sie dort soziales Miteinander.

Die genannten Beispiele sind bewusst überspitzt formuliert. Natürlich leben in Städten auch Familien, die dem Mittelstand angehören und die meisten Kitas nehmen Kinder aus ganz unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Milieus auf. Trotzdem muss eine Kita ihre Arbeit danach ausrichten, welche Bedürfnisse und Erwartungen Kinder und Eltern haben. Eine Sozialraumanalyse kann ein geeignetes Instrument sein um pädagogischen Fachkräften den Zusammenhang zwischen den Schwerpunkten in der pädagogischer Arbeit und dem jeweiligen Sozialraum, in dem eine Einrichtung liegt, aufzuzeigen. Daher wird sie häufig auch durchgeführt um herauszufinden, wie sich eine Stadt oder ein Stadtteil in Zukunft entwickeln wird. Aus den gesammelten Daten können Soziologen, Pädagogen und andere Experten ableiten, wo eine neue Kita gebaut werden muss und wie diese ausgestattet sein sollte.

 

Die Sozialraumanalyse und ihre Bedeutung für Theorie und Praxis in der Pädagogik

 

 Die Sozialraumanalyse spielt nicht nur eine wichtige Rolle für die pädagogische Praxis, sondern ist häufig auch Teil schriftlicher Ausarbeitungen während der Erzieher- und Kinderpflegeausbildung. In der Regel musst du als angehende Erzieherin bzw. angehender Erzieher mehrere Praktika in unterschiedlichen Einrichtungen absolvieren und anschließend einen Praktikumsbericht anfertigen. Die Dozenten möchten so herausfinden, wie gut du dich mit den Strukturen, Abläufen und pädagogischen Schwerpunkten der jeweiligen Praxisstelle auseinandergesetzt hast. Meist wird die Sozialraumanalyse am Anfang des Berichtes eingefügt und anschließend ausgewertet. So kann aufgezeigt werden, welche Bedeutung die jeweilige Einrichtung für den Ort oder den Stadtteil hat, wie sie vernetzt ist und inwieweit das pädagogische Konzept sowie darüber hinausgehende Angebote auf das Einzugsgebiet und die Bedürfnisse der dort lebenden Kinder und Familien abgestimmt sind. Deine Lehrer möchten wissen ob du in der Lage bist, entsprechende Zusammenhänge zu erkennen, zu erläutern und kritisch zu reflektieren. Es wird also deutlich, welche Wechselwirkungen zwischen einer Institution innerhalb eines Stadtteils und der Umgebung bestehen. Einen wissenschaftlichen Artikel zum Thema Sozialraum, Vernetzung und Kooperation findest du hier.

 

Die Sozialraumanlyse planen, durchführen und analysieren – ein Beispiel   

 

So weit zur Theorie, aber wie wird nun eine Sozialraumanalyse durchgeführt und was gilt es dabei zu beachten? Zunächst musst du Daten zu deiner Einrichtung und dem jeweiligen Umfeld sammeln. Die meisten relevanten Statistiken und Informationen wird dir die Einrichtungsleitung zur Verfügung stellen können, z.B. im Hinblick auf

 

  • die Anzahl der Betreuungsplätze,
  • die Alterstruktur der Kinder,
  • wichtige Institutionen im Umkreis (z.B. andere Kitas, Schulen, Behörden …),
  • das Bildungs- und Einkommensniveau der Familien, deren Kinder die Einrichtung besuchen,
  • den Anteil der Familien mit Migrationshintergrund,
  • die Wohnungssituation im Einzugsgebiet (überwiegend Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Wohnungsknappheit, hohe oder moderate Mieten usw.)
  • die Infrastruktur (Bus- und Bahnverbindungen, Haltestellen, …)
  • Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Kinder und Familien (Schwimmbäder, Tierparks, Spielplätze, Restaurants, Spazierwege, Seen, Wälder …)
  • Gesundheitsversorgung und Geschäfte (Ärzte, Krankenhäuser, Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken, …)

 

Bei den jeweiligen Verwaltungsbehörden können aktuelle Daten zum jeweiligen Stadtteil erfragt werden, zum Beispiel in Bezug auf die Einwohnerzahl, den Anteil der Kinder unter sechs Jahren, die Planung von Neubaugebieten, den Mietspiegel usw. Alle diese Daten dienen dazu sich ein genaues Bild über den Sozialraum zu machen, in dem eine Krippe, Kita, eine Betreuungseinrichtung für Schulkinder oder ein Jugendzentrum liegt. Häufig werden die gesammelten Daten in Diagrammen und Statistiken dargestellt, damit sie sich leichter auswerten lassen. Wenn die Sozialraumanalyse nur einen kleinen Teil der schriftlichen Ausarbeitung ausmacht, so ist allerdings eine detaillierte grafische Darstellung meist nicht nötig. Wichtig ist aber, dass die gesammelten Daten in einem zweiten Schritt ausgewertet und interpretiert werden. Dies lässt sich am einfachsten anhand eines fiktiven Beispiels verdeutlichen:

 

Das städtische Familienzentrum „Regenbogen“ befindet sich in einem Stadtteil von Essen in Nordrhein-Westfalen. Dort leben viele Familien, die nur ein geringes Einkommen haben. Für einen Großteil der Kinder, die die Einrichtung besuchen, ist deutsch nicht die Muttersprache. Etwa 30 Prozent der Familien verfügen über ein mittleres Einkommen, die meisten Mütter sind berufstätig. Es fehlt im Stadtteil an attraktiven Freizeitangeboten für Kinder, die vorhandenen Spielplätze sind alt und marode. Einkaufsmöglichkeiten hingegen sind vorhanden, ebenfalls eine gute Infrastruktur.

 

Was lässt sich aus diesen Informationen zum Sozialraum ableiten bzw. inwieweit beeinflussen diese das pädagogische Angebot des Familienzentrums? Die Antwort könnte folgendermaßen aussehen:

  • Sprachförderung wird besonders groß geschrieben und nimmt einen wichtigen Teil im pädagogischen Konzept ein,
  • die Kita bemüht sich auch um einen guten Kontakt zu Eltern, die kaum Deutsch sprechen. Wichtige Informationen werden auch auf arabisch ausgehängt. Eine Erzieherin spricht arabisch und bietet regelmäßige Sprechstunden für Eltern an
  • In Kooperation mit der Volkshochschule finden regelmäßig Deutschkurse für die Eltern in den Räumen der Einrichtung statt,
  • das Familienzentrum arbeitet eng mit der städtischen Frühförderstelle zusammen, da viele Kinder soziale, emotionalen, motorische oder kognitiven Auffälligkeiten zeigen
  • Die Kita-Leitung ermutigt die Elternvertreter sich im Stadtrat dafür einzusetzen, dass mehr öffentliche Spielplätze entstehen

 

Hier wird deutlich, dass die Kita die Bedürfnisse der Familien, mit denen sie in Kontakt kommt, kennt und ernst nimmt. Viele der Probleme, mit denen die Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert sind (Verständigungsprobleme, kulturelle Differenzen, schwierige Wohnverhältnisse usw.) weisen einen klaren Sozialraumbezug auf.Die Einrichtung versucht niedrigschwellige und bedarfsgerechte Angebote für Familien zu schaffen, die ihnen helfen sollen sich zu integrieren und gleichzeitig die Chance auf eine gute Ausbildung für die Kinder erhöhen.

 Weiterführende Informationen zu den Themen Sozialraumbezug, Kooperation und Vernetzung findest du auf der Info-Seite für Familienzentren in Nordrhein-Westfalen. Sie lassen sich aber problemlos auf andere Einrichtungen in allen Bundesländern übertragen.

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