Adultismus ist ein Phänomen, das sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen zeigt somit auch in Kitas. In Kitas kann Adultismus sowohl bewusst als auch unbewusst in verschiedenen Formen auftreten, wie zum Beispiel in der Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, wie Kommunikation stattfindet und wie Machtstrukturen gestaltet sind. Hierzu ein Beispiel.
Einige Kinder aus der Regenbogengruppe kommen morgens total aufgeregt in die Gruppe und berichten von einem Polizeieinsatz mit blinkenden Polizeilichtern, der eine Straße von der Kita entfernt stattgefunden hat. Sie fragen, ob sie nach dem Frühstück mit der Gruppe dort vorbeischauen dürfen, weil sie das Polizeiauto gerne in Ruhe betrachten möchten.
Sabine, die Gruppenleitung, hatte das Polizeiauto ebenfalls gesehen und wusste, dass es sich um eine kurzfristige Straßensperre handelt, und somit der kleine Ausflug kindgerecht wäre. Dennoch hat sie für diesen Tag einen aufwendigen Morgenkreis zum Thema Bauernhof geplant. Auf die Frage der Kinder, warum sie denn nicht zu dem Polizeiauto gehen können antwortet Sabine mit: „Darum!“. Danach beginnt sie den Morgenkreis zum Thema Bauernhof.
Im folgenden Text wird das Thema Adultismus in der Kita genau beleuchtet. Du erfährst, wie du Adultismus erkennst und wie diesem eingefahrenen „Muster“ entgegen wirken kannst.
Was ist Adultismus? Definition und Hintergrund
Das Wort leitet sich vom englischen Wort „adult“ (erwachsene Person) ab. Laut Duden wird unter Adultismus die Diskriminierung Minderjähriger durch Erwachsene verstanden und somit ein Machtmissbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen. Die Erwachsenen nutzen demnach das Machtgefälle zwischen ihnen und den Kindern aus. Ein Beispiel hierfür wäre, dass sich der Erwachsene stets als kompetenter sieht und somit ständig über das Kind hinweg entscheidet, ohne dessen Meinung zu hören.
Die Wurzeln des Adultismus liegen in kulturellen und sozialen Normen. In vielen Gesellschaften wird Erwachsenen automatisch mehr Wissen und Weisheit zugeschrieben, während Kinder als unvollständig und unfähig angesehen werden. Diese Sichtweise wird oft unbewusst weitergegeben und durch traditionelle Erziehungsstile verstärkt, die Gehorsam und Autorität betonen.
Es gibt viele Situationen, in denen adultistisches Verhalten auftritt. Hierzu zählen beispielsweise Handlungen von Erwachsenen, wie dem Kind ungefragt über die Haare zu streicheln oder ihm ein Bussi zu geben, obwohl das Kind das offensichtlich nicht möchte. Am offensichtlichsten tritt Adultismus jedoch im sprachlichen Bereich auf.
Beispiele hierfür sind:
„Dafür bist du noch zu jung.“
„Seid jetzt endlich leise.“
„Was fängst du denn jetzt schon wieder damit an?“
„Hörst du jetzt mal?“
„Das erkläre ich dir, wenn du mal größer bist.“
„Was denkst du eigentlich, wer du bist?“
„Hör jetzt mal auf zu weinen“
„Fang jetzt endlich mal an, dein Brot zu essen.“
Wie kann ich Adultismus in der Kita erkennen?
Adultismus lässt sich an vielen Stellen im pädagogischen Alltag beobachten, beispielsweise in pädagogischen Interaktionen sowie in den Entscheidungen von Fachkräften.
Grundsätzlich gilt: Immer dann, wenn Erwachsene ganz selbstverständlich davon ausgehen, etwas besser zu können oder besser zu wissen und deswegen ohne das Einverständnis des Kindes eine Entscheidung treffen, spricht man von Adultismus. Dies gilt auch, wenn die Bedürfnisse eines Kindes nicht ernst genommen oder seine Äußerungen abgetan werden. Es geht darum, wie Erwachsene mit Kindern sprechen oder über sie sprechen.
Typische Beispiele bzw. Verhaltensweisen, wie sich Adultismus in verschiedenen Formen in der Kita äußert:
- Sprachliche Herabsetzung: Oft werden Kinder nicht ernst genommen und ihre Meinungen als unbedeutend abgetan. Sätze wie "Das verstehst du noch nicht", „Stell dich doch nicht so an, es ist nur Wasser“ und "Wenn du älter bist, wirst du das vielleicht verstehen" sind typische Beispiele.
- Ungleiche Machtverhältnisse: Erwachsene haben die Kontrolle über Entscheidungsprozesse, während Kinder kaum Mitspracherecht haben. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Gestaltung des Tagesablaufs oder der Auswahl von Aktivitäten. Diese Haltung wird oft mit folgenden Sätzen verdeutlicht: „Du hast hier jetzt nichts mitzusprechen“, „Wir räumen jetzt sofort auf, weil ich das sage“, oder „Wenn du jetzt nicht dein Brot aufisst, darfst du nicht mit in den Garten.“ Aber auch Handlungen wie ein Kind auf den Schoß zu setzen, wenn es im Morgenkreis nicht stillsitzt, zählen dazu.
- Körperliche Dominanz: Erwachsene nutzen ihre körperliche Überlegenheit, um Kinder zu lenken oder zu disziplinieren, etwa durch Festhalten oder durch den Zwang, bestimmte Tätigkeiten auszuführen. Sätze wie „Ich durfte das auch nicht“ oder „Mir hat das auch nicht geschadet“ sind Beispiele hierfür.
- Ignoranz gegenüber Bedürfnissen: Die spezifischen Bedürfnisse und Wünsche der Kinder werden häufig ignoriert oder als weniger wichtig betrachtet als die der Erwachsenen. Die emotionale Reaktion oder Meinung der Kinder wird oft gerügt, nicht ernst genommen oder sogar belächelt. Typische Beispiele hierfür sind: „Kinder können das noch nicht entscheiden“ oder „Hör auf zu weinen, oder bist du noch ein Baby?“
Um dem entgegen zu wirken ist es wichtig, dass du stetig gesellschaftliche Normen und Werte in Bezug auf Kinder reflektierst. Hierzu sind folgende Fragen, die du dir stellen kannst, sehr hilfreich:
- Würde ich mich gegenüber einem Erwachsenen auch so verhalten?
- Wäre meine Entscheidung die gleiche?
- Wären solche Aussagen oder Handlungen gegenüber einem Erwachsenen in Ordnung?
- Dient die gesetzte Regel der eigenen Bequemlichkeit oder dient die Regel wirklich dem Schutz des Kindes?
Wichtig: In der Praxis ist es häufig so, dass man zwar die Theorie kennt, jedoch dennoch anders handelt. Vielleicht hast du Zeitdruck, weil deine Kollegin in 5 Minuten Feierabend hat und du somit nicht auf Jonas' Bedürfnis eingehen kannst, sich lange die Hände zu waschen. Es gibt auch sicherlich Tage, wo man einfach gerade mit dem Wutanfall von Leonie überfordert und genervt ist und reagiert dann mit einem: "Hör jetzt sofort auf zu weinen, sonst musst du in die andere Gruppe." Oder dir geht es heute selbst nicht so gut, und du musst dich von dem Streit zwischen Leon und Anna abgrenzen und weißt nicht mehr weiter, weil die beiden gefühlt jeden Tag fünfmal streiten. Dies ist alles menschlich und passiert sicherlich auch dem erfahrensten Pädagogen. Wichtig ist jedoch, dass dir deine Reaktion bewusst ist, du dein Verhalten reflektieren kannst und danach mit den Kindern in den Austausch gehst.
Möglichkeiten hierfür wären:
„Ich war gerade genervt, wie können wir denn euer Problem lösen? Habt ihr Ideen?“
„Lasst es uns doch nochmals anders versuchen“
„Mir geht’s heute leider nicht so gut, darum bin ich sehr ungeduldig und reagiere unfair.“
Was ist das Gegenteil von Adultismus?
Das Gegenteil von Adultismus ist Partizipation. Dieses Kinderrecht ist in den meisten Bildungsplänen verankert. Partizipation bedeutet im Gegensatz zu Adultismus, dass die Kinder als gleichwertig angesehen und somit in alltägliche Entscheidungen involviert werden.
Was sind mögliche Auswirkungen von Adultismus auf Kinder?
Die Auswirkungen von Adultismus auf Kinder können weitreichend sein und sich negativ auf ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirken sowie psychologische und emotionale Folgen haben. Hier einige Beispiele:
- Selbstwertgefühl: Kinder, die ständig mit Sätzen wie „Dafür bist du noch zu klein“ herabgesetzt oder nicht ernst genommen werden, entwickeln häufig ein geringes Selbstwertgefühl. Sie lernen, dass ihre Meinungen und Gefühle nicht wichtig sind und dass sie wenig Einfluss auf ihre Umwelt haben.
- Verhaltensprobleme: Sätze wie „Es gibt keine Diskussion, es wird so gemacht, wie ich es sage“ haben zur Folge, dass sich Frustration ausbreitet, weil das Kind denkt, es habe keine Kontrolle über sein eigenes Leben bzw. seine Gefühle. Dies kann langfristig zu verschiedenen Verhaltensproblemen führen. Kinder können aggressiv, zurückgezogen oder unkooperativ werden.
- Eingeschränkte Kreativität und Autonomie: Kinder, die nicht die Möglichkeit haben, eigenständige Entscheidungen zu treffen und kreativ zu sein, entwickeln oft ein geringeres Maß an Autonomie und Kreativität.
- Vertrauensverlust: Wiederholte Erfahrungen von Herabwürdigung und Machtlosigkeit können zu einem generellen Vertrauensverlust gegenüber Erwachsenen führen. Kinder lernen, dass ihre Bedürfnisse und Meinungen nicht zählen, was langfristig ihre Beziehung zu Bezugspersonen, Pädagogen und anderen Autoritätspersonen belastet.
- Diskriminierung: Kinder erfahren durch Adultismus, dass Unterdrückung, selbst durch vertraute Personen, akzeptabel ist. Dieses verinnerlichte Muster könnte dann als normal empfunden werden, was zur Gefahr führt, dass es sich in der Gesellschaft verbreitet.
Wie kann Adultismus in der Kita vermieden werden? - Beispiele und Tipps aus der Praxis
Um Adultismus in der Kita zu vermeiden, ist es wichtig, dass du und dein Team sich zunächst mit dem Thema auseinandersetzen. Dies ist ein wichtiger erster Schritt. Als Fachkraft ist es entscheidend, Adultismus zu erkennen und zu benennen. Danach hast du die Möglichkeit, Adultismus konstruktiv zu reduzieren oder sogar zu beenden und bestehende Machtstrukturen zu verändern.
Hier sind einige Beispiele und Tipps für dich als Fachkraft:
- Stetige Reflexion und Bewusstseinsschaffung: Der erste Schritt besteht darin, sich der eigenen adultistischen Haltungen und Verhaltensweisen bewusst zu werden. Regelmäßige Reflexionsrunden im Team oder auch die Beobachtung einer Supervisorin im Gruppengeschehen können helfen, Sensibilität für das Thema zu entwickeln.
- Bewusste Partizipation im päd. Alltag: Beziehe die Kinder aktiv in Entscheidungsprozesse ein. Hierzu eignen sich sehr gut Kinderkonferenzen, in denen die Kinder über bestimmte Themen abstimmen können. Wichtig ist, dass ihre Meinungen ernst genommen und respektiert werden. Beachte jedoch, dass es auch Grenzen der Partizipation gibt und immer die Sicherheit der Kinder gewährleistet sein muss.
- Beispiel aus der Praxis - Partizipative Raumgestaltung: Du kannst die Raumgestaltung deiner Gruppe gemeinsam mit den Kindern überdenken. In einer Kinderkonferenz werden die Kinder gefragt, wie sie sich ihre Räume wünschen und welche Veränderungen sie vornehmen würden. Du kannst hier auch mit Bildern arbeiten, um den Kleineren zu helfen. Sobald das Ergebnis feststeht, könnt ihr gemeinsam die Räume umgestalten, zum Beispiel mehr Rückzugsorte schaffen. Du wirst sicher bald merken, dass dies zu einer spürbaren Verbesserung der Zufriedenheit und des Wohlbefindens der Kinder führt.
Themen die sich auch gut für die Mitbestimmung/Partizipation eignen sind:
- Mitbestimmung beim Essensplan (Die Kinder dürfen Vorschläge machen, was sie gerne essen möchten. Achte jedoch darauf: Als Erwachsener musst du natürlich auf eine ausgewogene Ernährung achten. Es ist wichtig, dass sich die Kinder nicht jeden Tag nur Nudeln mit Ketchup wünschen können.
- Jahresthema/Rahmenthema
- Faschingsthema
- Ausflugsziele
- Neue Anschaffungen wie z. B. Bücher
- Empathische Kommunikation: Achte darauf, dass du stets auf Augenhöhe mit den Kindern kommunizierst und respektvoll bist. Versuche dabei, auch die Perspektive des Kindes zu sehen und zu verstehen. Frage die Kinder direkt nach ihrer Meinung.
Beispiel aus der Praxis - Empathische Konfliktlösung: Bei einem Konflikt zwischen den Kindern achte darauf, dass du alle Perspektiven der Beteiligten im Blick hast und dich in alle versuchst hinein zu versetzen. Arbeite dann gemeinsam an einer Lösung. Anstatt Strafen oder Sanktionen auszusprechen, ermutige die Kinder, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu äußern und gemeinsam mit ihnen Kompromisse zu finden.
- Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen: Versuche, die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kinder zu erkennen und zu berücksichtigen.
Beispiel aus der Praxis: Du solltest neben festen Strukturen, die den Kindern Sicherheit geben aber auch versuchen, bei deiner pädagogischen Planung weitgehend flexibel zu sein. Wenn du zum Beispiel am Nachmittag geplant hast, mit deiner Gruppe auf den Spielplatz zu gehen, aber merkst, dass die Kinder sehr müde sind oder bereits einige gesagt haben, dass sie lieber drinnen bleiben möchten, solltest du den Bedürfnissen der Kinder nach Ruhe nachkommen und vielleicht eine gemütliche Vorleserunde anbieten.
- Positive Verstärkung und Anerkennung: Lobe konkrete Handlungen und zeig den Kindern deine Anerkennung für ihre Bemühungen.
- Förderung einer inklusiven und respektvollen Kita-Kultur: Die Förderung einer inklusiven und respektvollen Kita-Kultur ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass alle Kinder sich akzeptiert und wertgeschätzt fühlen.
Beispiele aus der Praxis: Eine solche Kultur kann durch folgendes gefördert werden:
Vielfalt: Organisiere Aktivitäten und Projekte, die die Vielfalt der Kinder und ihrer Familien widerspiegeln wie beispielweise Feste aus verschiedenen Kulturen und Religionen.
Inklusive Sprache: Verwende eine Sprache, die alle Kinder einschließt und keine Vorurteile oder Stereotypen verstärkt. Zum Beispiel, statt "Das ist nur für Jungen/Mädchen", sage "Das können alle Kinder machen".
Elternarbeit: Arbeite eng mit den Eltern zusammen, um eine unterstützende und integrative Umgebung zu schaffen. Eltern können helfen, kulturelle und persönliche Unterschiede zu erklären und zu feiern.
Abschließend kann festgehalten werden, dass Adultismus eine tief verwurzelte Problematik darstellt, die im Kita-Alltag oft unbewusst vorkommt. Doch mit bewusstem Handeln, ständiger Reflexion des pädagogischen Handelns und entsprechenden Maßnahmen kann eine respektvolle Kita-Kultur geschaffen werden. Dadurch ist es möglich, dass Kinder sich respektiert und wertgeschätzt fühlen. Wenn dir das als Fachkraft gelingt, wirst du nicht nur für das individuelle Wohl der Kinder sorgen, sondern auch zur Entwicklung einer demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen, in der alle Altersgruppen gleichberechtigt miteinander leben.
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