Vater mit Kind Beziehung statt Erziehung


Montagmorgen in der Kita: Die dreijährige Lina weint – sie will ihre Jacke nicht ausziehen. Die Erzieherin kniet sich ruhig zu ihr hin und sagt: „Ich warte hier bei dir.“ Kurz darauf beruhigt sich Lina und zieht sich freiwillig aus.

Diese Szene zeigt, worauf es beim Ansatz „Beziehung statt Erziehung“ ankommt: Geduld, Vertrauen und eine Beziehung auf Augenhöhe. Im Kita-Alltag begegnen Fachkräfte täglich Situationen, in denen starre Erziehungsmuster nicht weiterhelfen – besonders dann, wenn sie mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder kollidieren.

Der von Jesper Juul geprägte Ansatz stellt die Beziehung in den Mittelpunkt – geprägt von Respekt, Vertrauen und gleichwürdiger Interaktion.

In diesem Artikel erfährst du, wie beziehungsorientierte Pädagogik den Kita-Alltag bereichern und Kinder nachhaltig stärken kann.

 

Von der „Erziehung“ zur pädagogischen Beziehung 

 

In der Vergangenheit war „Erziehung“ oft gleichbedeutend mit Anleiten, Korrigieren und Durchsetzen von Regeln. Doch in der modernen Pädagogik, inspiriert u. a. von Jesper Juul, rückt der Begriff „Beziehung“ stärker in den Fokus. Der Gedanke: Kinder lernen durch Beziehungen – nicht durch Erziehung. Sie entwickeln sich in einem Umfeld, in dem sie gesehen, gehört und ernst genommen werden.

Für dich als pädagogische Fachkraft bedeutet das: Deine Haltung ist entscheidender als jede Methode. Du solltest dich als Beziehungspartner sehen und Wert auf folgende Prinzipien legen.

 

Zentrale Prinzipien beziehungsorientierter Pädagogik


Jesper Juul, der Begründer des „Beziehung statt Erziehung“- Ansatzes, stellt in seinen Arbeiten zentrale Prinzipien heraus, die besonders für dich als Fachkraft bedeutsam sind:

  • Wertschätzung statt Machtgefälle: Kinder verdienen Respekt auf Augenhöhe. Beispiel: Emil will beim Morgenkreis daneben sitzen. Du akzeptierst das ruhig – ohne Machtkampf, aber mit Klarheit.
  • Partizipation statt Unterordnung: Kinder sollen Regeln mitgestalten, nicht nur befolgen. Beispiel: Du lässt sie entscheiden, ob sie drinnen oder draußen frühstücken möchten – so übernehmen sie Verantwortung.
    Wichtig: Nicht alle Regeln können mitbestimmt werden – besonders wenn es um die Gesundheit und Sicherheit der Kinder geht.
  • Echtheit statt Verstellen: Kinder spüren, wenn wir ehrlich sind. Sagst du zum Beispiel: „Ich bin heute etwas müde, freue mich aber auf den Ausflug“, merken die Kinder deine Authentizität – das schafft Vertrauen und Offenheit.
  • Nähe statt Strafen und Belohnungen: Kinder lernen am besten, wenn sie sich sicher und verstanden fühlen. Statt Strafen fragst du: „Warum hast du gerade keine Lust aufzuräumen?“ – gemeinsam mit dem Kind wird eine Lösung gesucht.

 

Beziehungsorientierte Pädagogik im Kita-Alltag – Praxisbeispiele  

 

In der Kita Praxis können diese beziehungsorientierten Prinzipien auf vielfältige Weise und in den verschiedensten Situationen angewandt werden.

Wertschätzung statt Machtgefälle

  • Begrüßung der Kinder: Auf Augenhöhe der Kinder gehen, Namen nennen, Blickkontakt halten.
  • Bei Konflikten: Höre bei Konflikten zwischen zwei Kindern beiden aufmerksam zu und lassen sie ihre Sicht ohne Unterbrechung schildern. Die Gefühle der Kinder werden anerkannt, ohne sofort zu urteilen oder zu korrigieren. Gemeinsam wird nach einer Lösung gesucht, die für alle passt.
  • Wickelsituation: Das Kind wird als aktiver Partner beteiligt (Ich hole die frische Windel, bist du bereit? Von wem möchtest du gewickelt werden?).
     

Beteiligung statt Unterordnung

  • Aktiv mitbestimmen: Kinder bringen ihre Wünsche und Ideen bei der Planung von Aktivitäten ein und erleben, dass ihre Meinung zählt.
  • Entscheidungen teilen: Im Alltag dürfen Kinder mitentscheiden – zum Beispiel, wo ihr nächster Ausflug hin gehen sollte oder welches Spiel angeboten wird.
  • Regeln gemeinsam gestalten: Gruppenregeln werden zusammen mit den Kindern erarbeitet.
  • Räume mitgestalten: Kinder helfen bei der Auswahl von Spielmaterialien oder der Anordnung von Möbeln


Extra Tipp: Bei all diesen Beispielen können die Kinder mit „Muggelsteinen“ abstimmen. Jedes Kind hat eine Stimme und legt einen Stein auf das Bild, das in der Mitte des Sitzkreises liegt. Die Idee mit den meisten Steinen wird dann umgesetzt.

 

Echtheit statt Verstellen

  • Gefühle zeigen: Die Kinder zeigen mit einem selbstgebastelten Gefühlsbarometer jeden Tag im Morgenkreis, wie sie sich gerade fühlen.  
  • Offene Kommunikation: Wenn du eine Frage eines Kindes nicht sofort beantworten kannst, sagst du ehrlich: „Das weiß ich gerade nicht, lass uns zusammen eine Antwort suchen.“
     

Nähe statt Strafen und Belohnungen

  • Gefühle verstehen: Wenn ein Kind wütend wird, nimmst du es in den Arm und hilfst ihm, die Gefühle zu benennen, statt es zu bestrafen.
  • Nah bleiben: Bei Streit oder Frustration nah bei den Kindern bleiben, zuhören und begleiten.
  • Ruhig bleiben: Statt „Schimpfen“ Ruhe bewahren und mit dem Kind Lösungen suchen.

 

FAQ aus der pädagogischen Praxis 


Wie kann ich „beziehungsorientiert“ bleiben, wenn ich viele Kinder betreue?
Auch wenn wenig Zeit ist: Ein kurzer Blick, ein Lächeln oder ein paar ehrliche Worte zeigen dem Kind, dass es trotz viel Trubel gesehen wird.
 
Gibt es noch Regeln und Grenzen?
Ja – aber sie werden gemeinsam besprochen. Kinder verstehen Regeln besser, wenn sie mitreden dürfen und merken, dass es um Schutz und Orientierung geht, nicht um Macht.

Wie setze ich Grenzen ohne Strafen?
Frage dich: Was will mir das Kind damit sagen? Verhalten zeigt oft ein Bedürfnis. Bleib ruhig, hör zu, such gemeinsam nach einer Lösung.

Was bedeutet das für die Elternarbeit?
Auch mit Eltern hilft Beziehung: Zuhören, ernst nehmen, gemeinsam nach Lösungen suchen – statt zu belehren oder zu bewerten.

Was sind verwandte pädagogische Ansätze?

Bindungs- und bedürfnisorientierte Pädagogik, gewaltfreie Kommunikation und demokratische Erziehung – sie alle stärken Kinder durch Beziehung, Mitbestimmung und Verständnis.


Fazit: Beziehung ist der Anfang von allem
Wenn du diesen Ansatz leben möchtest, bedeutet das nicht Grenzenlosigkeit, sondern eine klare, respektvolle Haltung auf Augenhöhe. Die beziehungsorientierte Pädagogik, wie sie etwa von Jesper Juul geprägt wurde, zeigt dir: Dein Verhalten, deine Sprache und deine Haltung prägen täglich das emotionale Klima in der Kita. Eine stabile Beziehung ist nicht nur die Grundlage für die Entwicklung der Kinder, sondern selbst pädagogisches Handeln. Wenn du Kinder begleiten willst, musst du dich auch selbst reflektieren: Deine eigene Haltung, Prägungen und Bedürfnisse sind entscheidend dafür, wie authentisch, klar und zugewandt du Beziehung leben kannst.

 

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