Der Begriff „Reformpädagogik“ ist nicht ganz leicht zu definieren, weil er sehr viele Aspekte und unterschiedliche pädagogische Strömungen und Ansätze beinhaltet. Grundsätzlich werden darunter alle Ideen zusammengefasst, die darauf abzielten Schule, den Schulunterricht aber auch die Erziehung im allgemeinen zu reformieren. Alle reformpädagogisches Ansätze haben als gemeinsames Merkmal, autoritäre Erziehungskonzepte durch liberale, demokratische und weniger leistungsorientierte Konzepte zu ersetzen.
Weiter gelten auch noch folgende Merkmale als typisch für alle reformpädagogische Strömungen:
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Noten und Leistungsdruck werden abgelehnt,
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das Individuum und seine Persönlichkeitsentwicklung steht im Mittelpunkt erzieherischer Bemühungen,
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Unterricht, Bildung und Erziehung zielt darauf, die Selbstständigkeit des Schülers bzw. des Kindes zu fördern und Selbstbildungsprozesse anzuregen,
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Die Rolle des Lehrers bzw. des Erziehers wird neu definiert: Er ist Lern- und Entwicklungsbegleiter und nicht in erster Linie Autoritätsperson
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Im Hinblick auf Methodik und Didaktik experimentieren Reformpädagogen mit neuen Gestaltungsmöglichkeiten in der Erziehung und im Unterricht die darauf abzielen, effektives, spielerisch-entdeckendes, individuelles und intrinsisch motiviertes Lernen zu fördern
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neben der reinen Wissensvermittlung auch die Förderung von sozialen, emotionalen und kreativen Kompetenzen sowie die Möglichkeit des Erlernens lebenspraktischer Fähigkeiten
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die Berücksichtigung von entwicklungspsychologischen und medizinischen Forschungsergebnissen um Kinder optimal und altersgerecht fördern zu können
Bekannte Methoden und Ansätze in der Reformpädagogik sind beispielweise folgende:
In der Zeit zwischen 1890 und 1933 stellten besonders viele Reformpädagogen ihre Ideen vor. Speziell in Deutschland und den USA waren die Reformansätze populär. Die Gründe, warum sich eine kritische Haltungen gegen das Schulsystem und gegen gängige Erziehungsmethoden und –Grundsätze gerade im ausgehenden 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert durchsetzte und auf fruchtbaren Boden fiel, sind in der politischen und sozialen Struktur dieser Zeit zu suchen:
Die Reformpädagogen forderten Chancengleichheit und individuelle Förderung für alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft. Sie lehnten Notendruck, physische und psychische Gewalt und Monotonie im Unterricht und in der Erziehung allgemein ab. Sie wollten das Kind und seine natürliche Neugier in den Mittelpunkt stellen, Prinzipien wie Wertschätzung, eigenverantwortliches Lernen, Methodenvielfalt, soziale Kompetenz und praktisches Tun gewannen immer mehr an Bedeutung. Daher lassen sich trotz heterogener Ansätze folgende Gemeinsamkeiten bei allen Reformpädagogen finden:
Nachfolgend findest du eine chronologische Auflistung wichtiger Reformpädagogen und Vordenker aus früheren Jahrhunderten. Die Liste erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit - würde man alle relevanten Reformpädagogen aufzählen wollen müssten mehr als 100 Persönlichkeiten berücksichtigt werden.
Name |
Lebensdaten |
Wichtige Ideen und Reformansätze/ Hauptwerk |
Johann A. Comenius |
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Forderung nach zwangsfreiem Unterricht und allgemeiner Schulpflicht (für Jungen und Mädchen!) Lernen durch Tun, Vorbildcharakter der Lehrenden und Erziehenden, Anschaulichkeit erleichtert das Lernen Hauptwerke: Janua Linguarum Reserata, Orbis sensularium pictus (eine (eine Enzyklopädie für Kinder) |
Jean-J. Rousseau |
1712 bis 1778 |
Bedeutung der Selbstbestimmung im Kontext der Sozialisation, Begründung pädagogischen Handelns durch Sprache, Betonung der Individualität im humanen Miteinander, Bedeutung von Erfahrungslernen und lebenspraktischer Lerninhalten, Einteilung der Kindheit in Lern- und Entwicklungsphasen Hauptwerk: Emile oder über die Erziehung |
Johann H. Pestalozzi |
1746 bis 1827 |
Forderung nach ganzheitlicher Volksbildung, demokratische Erziehung, Bildung von Geburt an, Erkennen der Bedeutung von vorschulischer Bildung, Betonung der Notwendigkeit Dinge selbst tun zu dürfen, Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“ Hauptwerk: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt |
Friedrich Fröbel |
1782 bis 1852 |
Gilt als Begründer des Kindergartens mit pädagogischem Anspruch, erkannte (als Schüler Pestalozzis) die Bedeutung der frühen Kindheit, beschrieb die Bedeutung von Liedern, Fingerspielen und pädagogischen Angeboten, rief 1842 die ersten Kindergärtnerinnenkurse ins Leben, 1847 wurde der erste deutsche Kindergarten in Lünen eröffnet Hauptwerke: Die Menschenerziehung, Mutter- und Koselieder |
Janusz Korczak |
1878 bis 1942 |
Verfasser des ersten Werkes über Kinderrechte, Vertrat die Auffassung, dass Kinder mit Respekt zu behandeln und an Entscheidungsprozessen in der Gesellschaft zu beteiligen seien, entwarf Konzepte zur Funktionsweise einer „Kinderrepublik“ Anmerkung: Als Leiter eines jüdischen Waisenhauses im Warschauer Ghetto begleitete er seine Schützlinge ins Vernichtungslager Treblinka, obwohl er sich hätte retten können. Dort wurde er im August 1942 ermordet. Hauptwerke: Wie man ein Kind lieben soll, das Recht des Kindes auf Achtung, Die Regeln des Lebens, Fröhliche Pädagogik sowie zahlreiche Kinderbücher |
Maria Montessori |
1870 bis 1952 |
setzte sich für Kinder aus sozial schwachen Familien ein und übertrug dafür die Methoden, die sie in ihrer Arbeit mit behinderten Kindern, forderte pädagogische Einrichtungen für Kinder mit Behinderungen, etablierte in ihren Einrichtungen Freiarbeit und offenen Unterricht, leitete ihr pädagogisches Handeln von den Beobachtungen der Kinder ab, Leitmotiv der Montessori-Methode ist die natürliche Freude des Kindes am Lernen und die Annahme, dass Kinder am besten in ihrem eigenen Rhythmus lernen, beschrieb eine eigene Entwicklungspsychologie, die aus drei Stadien besteht, entwickelte eigenes Lernmaterial für Übungen des täglichen Lebens, für die Sinneswahrnehmung, für Mathematik, Sprache und kosmische Erziehung, von ihr stammt der pädagogische Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ der gleichzeitig auch die Rolle des Erziehers in der Montessori-Pädagogik definiert Hauptwerke: Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, Die Selbsterziehung des Kindes, Über die Bildung des Menschen |
Rudolf Steiner |
1861 bis 1925 |
Begründer der Waldorfpädagogik und der Antroposophie, berücksichtigt die vier Temperamente inseminier Lehre, gründete die Waldorfrschule, in der beispielweise Eurythmie gelehrt wird und Kunst, Musik und handwerkliche Fächer auf dem Stundenplan stehen, der Unterricht ist in Epochen gegliedert und erfolgt auch fächerübergreifend, in der Mittel- und Unterstufe werden keine Noten gegeben Hauptwerk: insgesamt 42 Schriftbände, mehr als 5000 Vorträge, teilweise noch unveröffentlicht |
Célestin Freinet |
1896 bis 1966 |
Grundsätze der Pädagogik Freinets: freie Persönlichkeitsentfaltung, kritische Reflektion der Umwelt, kindliche Selbstverantwortlichkeit, soziale Kooperation rief einen Klassenrat ins Leben und forderte die Schüler dazu auf eine Schülerzeitung zu gründen um sich auszudrücken und ihre Arbeitsergebnisse zu dokumentieren, weitere Methoden: Exkursionen, Arbeitsecken, Erstellung individueller Arbeitspläne, Freiarbeit Hauptwerk: Pädagogische Werke |
Alexander S. Neill |
1883 bis 1973 |
Gründer der demokratischen Schule Summerhill (Großbritannien), deren wichtigstes Merkmal bis heute ist, dass der Unterrichtsbesuch keine Pflicht darstellt, Neills Pädagogik ist beeinflusst von der Psychoanalyse, er sprach sich für die Möglichkeit der freizügigen Entdeckung der kindlichen Sexualität aus, Neill glaubte an das uneingeschränkt Gute im Kind – eine Haltung, die heute selbst von liberalen Pädagogen kritisch gesehen wird Hauptwerke: Selbstverwaltung in der Schule, Erziehung in Summerhill. Das revolutionäre Beispiel einer freien Schule |
Peter Petersen |
1894 bis 1952 |
Petersen war einer der ersten Pädagogen, der die Pädagogik als eigenständige Wissenschaft etablieren wollte, er leitete seine Erkenntnisse von systematischen Beobachtungen von Kindern in ihrem sozialen Umfeld ab, er führte die akademische Ausbildung der Volksschullehrer ein und gründete mit der Jena-Plan-Schule eine wissenschaftliche Versuchsschule, in der die Schüler ihren Unterricht selbst mithilfe von vorstrukturierten Arbeitsmaterialien und anhand von Wochenplänen gestalten Hauptwerke: Die Neueuropäische Erziehungsbewegung, Führungslehre des Unterrichts, der große Jena-Plan (3 Bönde), allgemeine Erziehungswissenschaft (3 Bände) |
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Freiarbeit
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Projektarbeit
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Werkstattarbeit/Lernwerkstätten
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Epochenlernen
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altersübergreifendes Lernen
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Eine umfassende Schulbildung war Kindern (meist Jungen) aus wohlhabenden Familien vorbehalten. Kinder aus Arbeiterfamilien lernten kaum mehr als die Bibel zu lesen und daraus zu rezitieren, sowie ein wenig zu schreiben und zu rechnen.
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In der Schule wurden die Kinder schikaniert, unter Druck gesetzt häufig sogar körperlich gezüchtigt. Ein Schüler hatte zu gehorchen und sich zu fügen, eigenständiges Denken war nicht gern gesehen. Gleichzeitig mussten die Kinder still und aufrecht sitzen und dem Lehrer lauschen, der einen Vortrag nach dem nächsten hielt. Andere Methoden als Frontalunterricht waren unbekannt.
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Erfolgreiches und nachhaltiges Lernen erfordert Freiheit
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Eine Schule ist nicht nur eine Lern- sondern auch eine Lebensgemeinschaft
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Ein Kind ist kein kleiner Erwachsener, sondern hat altersspezifische, entwicklungspsychologisch bedingte Bedürfnisse und Interessen
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Bildung erfordert eigenständiges Tun
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Das Lernen muss selbstverantwortlich geschehen
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Lehrinhalte müssen einen Bezug um realen, alltäglichen Leben aufweisen
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Schule und auch das Elternhaus sind Orte der ganzheitlichen Menschenbildung