Nähe und Distanz im pädagogischen Alltag

 

Wie viel Nähe darf ich Kindern geben? Wie wahre ich eine professionelle Distanz zu Eltern ohne abweisend zu wirken? Und wie gehe ich mit meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen um, was Nähe und Distanz als Erzieher*in betrifft?
Das Thema „Nähe und Distanz in der Kita“ ist ein sehr sensibles und nicht zuletzt durch das mediale Interesse an der Thematik in Zusammenhang mit Prävention von Missbrauch auch emotional stark aufgeladen. 
Viele pädagogische Fachkräfte sind zunehmend verunsichert, weil sie nicht wissen  was sie im Umgang mit Kindern noch „dürfen“ und was nicht. War es früher selbstverständlich Kinder mit Kosenamen anzureden oder ihnen zum Abschied ein Küsschen zu geben gilt das heute zurecht als übergriffiges, grenzverletzendes Verhalten.

Wir möchten im Folgenden versuchen dir das Thema „Nähe und Distanz in der Kita“ anhand von Beispielen näher zu bringen und dir gleichzeitig Strategien mit an die Hand geben die dir helfen im pädagogischen Alltag möglichst unverkrampft, aber gleichzeitig professionell mit den Bedürfnissen von Kindern und Eltern umzugehen.

Das Bedürfnis von Nähe und Distanz – was steckt eigentlich dahinter?

 

Nähe und Distanz sind zwei Begriffe, die auf unterschiedlichen Ebenen verschiedenen Bedeutungen haben können. Für die pädagogische Arbeit wichtig ist die sozial-emotionale Ebene, welche die Interaktion zwischen Menschen betrifft. Nähe und Distanz sind Gegensätze und beschreiben ein räumliches, emotionales und soziales Verhältnis zwischen Menschen. 
Interessant ist: Beide Begriffe können sowohl positiv als auch negativ besetzt sein. Nähe kann Gefühle wie Geborgenheit hervorrufen und Vertrauen schaffen. Sie kann aber auch als Einengung empfunden werden. Distanz hingegen schafft Freiräume, regt dazu an sich frei zu entfalten und seine Umwelt zu entdecken, kann aber auch das Gefühl der Haltlosigkeit begünstigen und als Desinteresse gewertet werden. 
Genau diese Ambivalenz macht ein professionelles Nähe-Distanz-Verhältnis in der Kita und in jedem anderen sozialen oder pflegerischen Kontext zur Herausforderung. 
Unterschiedliche Erwartungshaltungen prallen aufeinander und können innere und interpersonelle Konflikte auslösen.

 

Alle Kinder brauchen Nähe –  Die richtige Dosis variiert

 

Grundsätzlich gilt: Je jünger Kinder sind, desto mehr Nähe brauchen sie um sich sicher zu fühlen. Hier spielt auch die Bindung zu Bezugspersonen eine große Rolle. Durch Körperkontakt können sie Stresssituationen und Gefühle wie Angst, Schmerz usw. besser überwinden, weil dieser ihnen hilft sich zu regulieren und wieder zu innerer Ausgeglichenheit zu finden. 
Wie häufig und wie intensiv die Nähe zur Bezugsperson sein muss um entspannt den Alltag zu meistern ist individuell verschieden und hängt von der Bindungsqualiät ab. Natürlich spielt aber auch der Charakter, das Alter und das aktuelle Befinden eine Rolle. Übermüdete oder kranke Kinder brauchen mehr körperliche Zuwendung als ausgeschlafene, gesunde Kinder, die generell eher unerschrocken durchs Leben
gehen. 
Es lässt sich also festhalten, dass Kinder Nähe brauchen um sich gesund entwickeln zu können. Trost, Zuspruch und körperliche Zuwendung sind also in der pädagogischen Praxis wichtige Grundbedürfnisse – diese zu verweigern wäre grausam und würde Kinder in ihrer Entwicklung schädigen.
Wichtig ist zu erkennen, welches Nähe-Distanz-Bedürfnis das jeweilige Kinder in der konkreten Situation hat: Braucht es eine Umarmung? Möchte es auf den Schoß genommen werden? Oder braucht es Zeit und Raum um sich selbst zu regulieren? Möglicherweise verlangt das Kind nicht nach meiner Nähe, sondern möchte sich lieber einer Kollegin/einem Kollegen anvertrauen. 
Hier gilt es, abhängig von der Situation möglichst sensibel zu agieren und verbale und nonverbale Signale richtig zu deuten und vor allem diese Ernst zu nehmen.

 

Professionelle Distanz zwischen Erziehern und Eltern – Fingerspitzengefühl ist gefragt!

 

Wie viel Nähe zu Eltern ist zu nah, wie viel Distanz verträgt eine vertrauensvolle Beziehungspartnerschaft auf Augenhöhe?
In vielen Kitas hat es sich bewährt eine professionelle Distanz zwischen Erziehern und Eltern durch die Art der Anrede zu schaffen. Wenn Eltern und pädagogische Fachkräfte sich Siezen bleibt die Beziehung auf professioneller Ebene. Gerade wenn du Berufsanfänger*in bist kann das helfen deine Position im Umgang mit Eltern zu stärken. Wichtig ist, dass du auf andere Art und Weise Nähe und damit Vertrauen schaffst. Gute Möglichkeiten wie das Gelingen kann:

  1. Gib regelmäßig auch ungefragt Feedback oder suche beim Bringen und Abholen kurz das Gespräch mit den Eltern: Das signalisiert Interesse und schafft eine gute Basis für die Elternarbeit.
  2. Gemeinsamkeiten schaffen Nähe: Sätze wie „Ich kenne das von meiner Nichte, die hat in dem Alter auch immer so schlecht geschlafen“ hören Eltern gern, weil sie das Gefühl haben nicht allein dazustehen mit ihrem Problem 
  3. Trete Eltern ehrlich und authentisch gegenüber. Eltern schätzen es wenn du beispielsweise zugibst ihr Kind am Nachmittag nicht gewickelt zu haben, weil es personell eng war und du nicht wusstest wo dir der Kopf steht.

Gleichzeitig darfst du dich jederzeit auch von Eltern abgrenzen, wenn du merkst, dass das nötig ist. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn sie dir gegenüber beleidigend werden oder aber anfragen, ob du ihr Kind auch privat betreuen würdest. Hier ist es immer gut auf das eigene Bauchgefühl zu hören.

 

Im Dschungel der Bedürfnisse- Tipps für einen professionellen Umgang mit Nähe und Distanz


Die Frage wie viel Nähe zu viel ist, wann eine Distanzierung auf welche Art auch immer angebracht ist und wie pädagogische Fachkräfte im Zweifel richtig reagieren ist gar nicht so leicht zu beantworten. 
Wie wir selbst zu Nähe und Distanz stehen hängt nicht allein von unserer professionellen Haltung ab, sondern auch von unserer Persönlichkeit und unseren eigenen Erfahrungen. Wer als Kind wenig Nähe von wichtigen Bezugspersonen erfahren hat tut sich als Erwachsener vielleicht schwer anderen Zuwendung zuteil werden zu lassen. Eigene Erfahrungen mit Grenzverletzungen hingegen führen vielleicht dazu, dass wir schnell misstrauisch sind und Menschen eher auf Distanz halten. 
Und dann gibt es ja noch ein Kinderschutzkonzept in der Kita, in dem Nähe und Distanz ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Diese Faktoren können dazu führen, dass pädagogische Fachkräfte zunehmend verunsichert sind und vielleicht auch entgegen ihrer eigenen Bedürfnisse handeln.
Daher ist es sinnvoll sich zunächst einmal mit denen eigenen Grenzen und Bedürfnisse in Zusammenhang mit Nähe und Distanz auseinanderzusetzen.

 

Folgende Fragen können dabei helfen:

  • Habe ich als Kind grenzverletzendes Verhalten im Kontext von Nähe und Distanz erlebt (Wurde ich zum Beispiel ungefragt von Oma oder Opa geküsst?)
  • Wurde ich getröstet, wenn ich traurig war? Habe ich Wertschätzung erfahren? 
  • Hatte ich eine gute Bindung zu meinen Bezugspersonen? Konnte ich mich altersgerecht von ihnen lösen? Wurden mir die Freiheiten zugestanden die mir wichtig waren?
  • Ist es mir heute schnell unangenehm, wenn Menschen mir zu nahe kommen? 
  • Brauche ich viel Zeit für mich allein oder bin ich gerne in Gesellschaft?
  • Welche Rolle nehmen ich als pädagogische Fachkraft in der Gruppe ein – suchen die Kinder Trost bei mir oder bevorzugen sie den Kontakt zu anderen Kolleg*innen? 
  • Freue ich mich, wenn Kinder auf meinem Schoß sitzen möchten und meine Nähe suchen oder ist mir das eher unangenehm?

 

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Fragen kann Klarheit darüber geben wie du selbst zu Nähe und Distanz stehst. Es ist wichtig eigene Einstellungen und Bedürfnisse in diesem Zusammenhang zu reflektieren um Kindern gegenüber authentisch und gleichzeitig angemessen reagieren zu können.
Grundsätzlich gilt: Sowohl Kinder als auch pädagogische Fachkräfte sollten sich angenommen und ernst genommen fühlen mit ihren Bedürfnissen. Nähe darf nicht erzwungen werden, aber wer ständig auf Distanz geht wirkt abweisend und nicht wertschätzend.

 

Nähe und Distanz in der Kita – Beispiele

 

Die folgenden Beispiele können dir helfen zu verstehen wie es gelingen kann eine professionelle Balance zwischen Nähe und Distanz in der Kita zu schaffen. Wichtig ist, dass alle Beteiligten in kritischen Situationen mit ihren Bedürfnissen nicht allein gelassen werden. Ebenso bedeutend sind eine klare Haltung im Team sowie regelmäßige Weiterbildungen zu Themen wie Partizipation, Schutzkonzept, Bedürfnisorientierung usw. Im jeweiligen Kontext spielen auch die Begriffe Nähe und Distanz bzw. der professionelle Umgang damit eine wichtige Rolle.

Fallbeispiel 1:

Erzieherin Thea begleitet die Kinder ihrer U3-Gruppe beim Einschlafen. Mia 2,3 Jahre, braucht zunehmend länger und schläft manchmal gar nicht mehr. Mias Mutter schlägt der Erzieherin vor Mia sanft auf den Popo zu klopfen- das sei zu Hause eine sichere Methode das Mädchen zum Einschlafen zu bringen. 
Thea ist verunsichert: Sie empfindet es als unangemessen das Mädchen auf diese Art beim Einschlafen zu begleiten. Im Team wurde besprochen, dass auch Kleinkinder das Recht auf eine Intimsphäre haben, beispielsweise beim Wickeln. Ein Kind auf den Popo zu klopfen ist ihrer Meinung daher eine Grenzverletzung.
Theas Kollegin stärkt ihr den Rücken. Gemeinsam suchen sie das Gespräch mit Mias Mutter und erklären dieser, warum das Einschlafritual in diesem Fall nicht übernommen werden kann. Es ist zudem möglich, dass Mia vielleicht gar keinen Mittagsschlaf mehr benötigt und daher lange zum Einschlafen braucht.

Fallbeispiel 2:

Max, 5,3, ist Vorschulkind. Er hat ein besonders inniges Verhältnis zu seiner Erzieherin Sara. Die hat allerdings festgestellt, dass Max ihr oft an die Brust packt, wenn er sie umarmt. Der Junge scheint sich nichts dabei zu denken, Sara ist das allerdings sehr unangenehm. Sie erklärt ihm, dass dieser Teil ihres Körpers nur ihr gehört und sie dort nicht berührt werden möchte. Max darf sie gerne an der Hand berühren, wenn er ihr etwas sagen möchte oder getröstet werden muss.

Fallbeispiel 3:

Tom ist der Bezugserzieher für Jannis, 2,5 Jahre. Jannis weicht Tom oft nicht von der Seite, möchte nur von ihm getröstet werden und fordert viel Nähe ein. Tom findet das in Ordnung, aber seine Kollegin hat Bedenken. Sie findet Tom würde Jannis zu sehr verwöhnen und kritisiert die enge Bindung der beiden – das sähe ja auch seltsam aus, wenn eine männliche Fachkraft ständig ein Kind auf dem Schoß habe.
Die Leitung der Einrichtung schaltet sich ein und macht Toms Kollegin klar, dass Tom bedürfnisorientiert handelt und dass es kein „Zuviel“ an Nähe gibt, solange ein Kleinkind diese einfordert. Tom ist kein Fehlverhalten vorzuwerfen.

Fallbeispiel 4:

Aylin 4,3 hat in die Hose gemacht und braucht Hilfe beim Umziehen. Erzieherin Anna will ihr helfen. Aylin lehnt das ab. „Paula soll mir helfen. Nicht du.“ 
Anna ist verärgert. „Ich kann dir auch helfen. Stelle dich nicht so an!“
Paula kommt hinzu und erklärt Aylin, dass sie Zeit hat zu helfen. Wenn sie nicht da gewesen wäre hätte man aber vielleicht eine andere Lösung finden müssen.
Später sucht Paula das Gespräch mit ihrer Kollegin. Sie bittet sie es nicht persönlich zu nehmen, wenn ein Kind sich nur von einer bestimmten Bezugsperson beim Umziehen helfen lassen will – es ist sein gutes Recht zu bestimmen wessen Nähe in dieser wahrscheinlich unangenehmen Situation zugelassen wird.

Wichtig:

Das Kind bestimmt immer selbst wie viel Nähe es zulässt und vom wem. Pädagogische Fachkräfte müssen in diesem Kontext gut auf die Signale achten die Kinder aussenden, damit es nicht zu übergriffigem Verhalten kommt.
Gleichzeitig dürfen aber auch Erwachsene sich abgrenzen und auf Distanz gehen, wenn Nähe bzw. die Forderung danach zur Belastung wird. 
 

Bild: shutterstock_1577998993

Gratis für Erzieher/innen!

Über 90 kostenlosen Vorlagen, sparen dir wertvolle Zeit bei der Vorbereitung. Unsere Praxisfälle und Supervisionsfragen zeigen dir auf, wie du richtig handelst, wenn…

Über 105.000 Abonnenten

gefällt unser Newsletter

zur Anmeldung