Spielzeugfreie Zeit im Kindergarten

Ein Kindergarten ohne Spielsachen – geht das überhaupt? Ist es ohne Spielzeug nicht schrecklich langweilig? Welchen Sinn ergibt es, kein Spielzeug im Kindergarten zu haben? Diese oder ähnliche Fragen tauchen meist auf, wenn das Thema spielzeugfreier Kindergarten im Raum steht. Eine Kita ohne Spielzeug ist für die meisten unrealistisch und passt nicht in die Vorstellung von einer Kita, die hohe pädagogisch Standards erfüllt. Bei genauerer Auseinandersetzung mit dieser Thematik erweist sich der bewusste Verzicht jedoch als positive Entwicklungsförderung für Kinder. Mittlerweile gibt es viele Kitas, die die spielzeugfreie Zeit als Projekt oder als Pädagogik etabliert haben. Aber was wird unter dem Konzept spielzeugfrei überhaupt verstanden? Und welche Vor- und Nachteile hat das Projekt?
 

Was wird unter dem Konzept „spielzeugfreier Kindergarten“ verstanden?  


Die Idee, die aufgrund einer Zusammenarbeit der Suchtprävention und Pädagogik entstand, ist nicht neu. Sie wurde bereits 1992 im süddeutschen Raum entwickelt, aufgrund von Beobachtungen der Initiatoren. Es zeigte sich, dass für Kinder kaum Raum und Zeit besteht sich frei zu entfalten. Sie sind umgeben von einer Konsumwelt mit vorgegebenen Strukturen, durchgeplanter Freizeit und Terminen. Ziel dieses Vorhaben war es, die Lebenskompetenzen der Kinder zu stärken. Dieses Projekt dient somit einer Präventionsmaßnahme gegen Suchtverhalten. Laut Forschern ist es bereits im Kindergartenalter notwendig, mit der Suchtprävention zu beginnen. Die Kinder können somit später in kein Suchtverhalten fallen und Lebenskompetenz erwerben. Heutzutage zählt das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“europaweit zu den erfolgreichsten Modellen im Bereich Gesundheitsförderung für Kinder bis zur Einschulung. Der komplette tägliche Ablauf wird für den vorher festgelegten Zeitraum aufgehoben und jeden Tag neu gestaltet. In dieser Zeit sollen die Kinder eigenen Spielideen verwirklichen und alles Vorgefertigte wie z. B: Spielsachen, Kuscheltiere, Bücher, Spiele wird aus dem Gruppenraum entfernt. Eine weitere Möglichkeit ist es, alle mit Spielmaterialien gefüllten Regale mit Decken abzuhängen, sodass die Kinder keinen Zugriff darauf haben. Der Verzicht auf vorgefertigte Spielsachen ist eine Methode um ein förderliches Umfeld zu schaffen, in der die Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten der Kinder gefördert werden können. Ziel ist es die Frustration zu überwinden, ohne Ablenkung mit einem Konsumgut (Spielzeug). Dieses Projekt wird in vielen Einrichtungen auch in Verbindung mit der christlichen Fastenzeit durchgeführt.

 

Wie kann eine spielzeugfreie Zeit erfolgreich eingeführt werden?  


Das Projekt, das insgesamt inklusive Vor- und Nachbereitung ca. 10 Monate andauert, kann nicht von heute auf morgen einführt werden. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten vorab involviert werden um sich auf diese Zeit vorzubereiten.

 

Team:

Vorab solltet ihr euch über die Durchführung des Projektes im Team einig sein. Das ist wichtig, da sich die Rolle der Fachkraft (wird später im Text noch genauer ausgeführt) innerhalb dieser Zeit ändert. Auch wenn keine gezielten Pädagogischen Angebote stattfinden ist diese Zeit sehr zeitaufwendig. Ihr fungiert nämlich während dieser Zeit als stetige Beobachter und Begleiter. Diese Beobachtungen werden im Idealfall auch notiert. Erfahrungsgemäß finden während dieser Zeit auch mehr Tür- und Angelgespräche statt, die natürlich auch zeitaufwendig sind.

 

Kinder:

Bevor du das Projekt in die Tat umsetzt bzw. den pädagogischen Ansatz einführst, müssen die Kinder involviert und darauf vorbereitet werden. Plane für diese Vorbereitungszeit in etwa ca. 4 Wochen ein.
Gespräche, Geschichten und Rollenspiele können dich dabei unterstützten, den Kindern die Ziele und Möglichkeiten einer spielzeugfreien Zeit näher zu bringen. Die Geschichte „Der blaue Stuhl“ von Claude Boujon. https://kindergeschichten.files.wordpress.com/2020/04/der-blaue-stuhl-boujon.pdf eignet sich hierfür hervorragend, da die Kinder animiert werden Ideen zu sammeln, was man mit einem Stuhl alles tun kann.
 

Nutze auch die Zeit, wichtige Fragen gemeinsam zu klären:

  • Wohin wird das Spielzeug geräumt?
  • Welche Spielsachen verschwinden als erstes?
  • Wie lange soll die Spielzeug freie Zeit andauern?
  • Welche Grundregeln brauchen wir in der spielzeugfreien Zeit?
  • Welche Spielideen gibt es?
  • Welche Regeln bestehen zusätzlich zu den beständigen Grundregeln während dieser Zeit?


Wichtig ist auch, dass über das mögliche Vorgehen gesprochen wird, welches einem Kind ermöglicht bei Problemen oder Konflikten Hilfe zu holen. Involviere die Kinder bei den Vorbereitungen indem du mit ihnen gemeinsam die Spielsachen zusammenpackst und aus den Gruppenraum bringst. Die direkte spielzeugfreie Zeit sollte optimaler Weise ca. 12 Wochen andauern. Anschließend erfolgt eine Nachbereitung sowie Kinderkonferenzen. Gemeinsam mit den Kindern können die Spielsachen wieder in die Räume gebracht werden. Auch kann innerhalb der Gruppe darüber entschieden werden, welche Utensilien vielleicht draußen bleiben.
 

Eltern:

Nachdem die Kinder in das Vorhaben eingeweiht wurden, müssen die Eltern benachrichtig werden. Im Rahmen eines Informationsabends haben die Eltern die Möglichkeit einen Einblick zu bekommen, um so mögliche Fragen oder Bedenken aufzugreifen. Von Vorteil ist es auch, wenn die Förderziele und der Ablauf der spielzeugfreien Zeit vermittelt werden. Hier kann gleich den bestehenden Vorurteilen von: „Ist das nicht furchtbar langweilig? Oder „Was machen die Kinder denn nur ohne Spielzeug?“ entgegen gewirkt werden.

 

Welche Rolle übernimmt die Fachkraft?

 

Auch deine Rolle als Fachkraft ändert sich während dieser Zeit, da du in dieser Zeit keine geplanten Angebote oder Projekte durchführst. Der Fokus ist auf den eigenen Spielideen der Kindern gerichtet. Deine Aufgabe ist es während dieser Zeit zu beobachten und zu begleiten. Dies ist vor allem bei möglichen auftauchenden Fragen von Kinder wie z. B. „Kannst du mit mir was spielen oder was kann ich spielen?“ wichtig. Halte dich bewusst zurück und versuche die Kinder immer wieder zu animieren eigene Ideen zu entwickeln und auf Erkundungstour zu gehen. Versuche hier die Kinder lediglich in Ihren Aktivitäten zu begleiten. Die Kinder sollen in der spielzeugfreien Zeit eigene Spielideen verwirklichen, bei denen du    zwar mit Hilfestellungen zur Seite stehen kannst, allerdings nicht aktiv in das Spielgeschehen eingreifen solltest. Wichtig dabei ist, dass du Spieldynamiken und jedes Kind genau im Blick hast um eingreifen zu können, wenn ein Kind Hilfe benötigt bzw. wenn das Wohl des Kindes nicht mehr gewährleistet ist. Es kann auch vorkommen, dass vermehrt Fragen oder Beschwerden von Eltern auftauchen, da die Kinder zu Hause erzählen, dass sie ab und an Langeweile haben. Hier ist ein vorheriger Elternabend, wie bereits erwähnt wichtig.Von Vorteil ist es auch, wenn du deine Beobachtungen während dieser Zeit dokumentierst. Du kannst diese hervorragend für künftige Elterngespräche nutzen, die vielleicht nach dem Projekt angesetzt werden können.

 

Welche Vor- oder Nachteile gibt es?


Bereits Friedlich Fröbel, der als Erfinder des Kindergartens gilt, betitelt das Spiel als die höchste Form der Kindesentwicklung. Strukturierte Tagesabläufe und mehrere tägliche Rituale geben wenig Zeit und Raum für das freie und kreatives Spiel. In der spielzeugfreien Zeit haben die Kinder Gelegenheit ihre eignen Spiele mit Phantasie und Kreativität zu gestalten.

Auch wenn das Konzept des spielzeugfreien Kindergartens viele Vorteile bietet, gibt es dennoch auch Nachteile:

Folglich werden mögliche Vor- und Nachteile aufgezeigt:

Vorteile eines spielzeugfreien Kindergartens

  • Förderung der Fantasie und Kreativität
  • Förderung von Eigeninitiative
  • Förderung der Kognitiven Fähigkeiten – Problem löse Verhalten
  • Förderung von sozialen Kompetenzen (Absprachen, soziales Miteinander, Entstehung neuer sozialen Beziehungen)
  • individuelle Bedürfnisse der Kinder können befriedigt werden, da sie ihren eigenen Ideen und Freiräume nachgehen können
  • Unabhängigkeit von äußeren Gegebenheiten wie vorhandenes Spielzeug
  • Entscheidungen treffen
  • Partizipation erfahren

 

Nachteile eines spielzeugfreien Kindergartens

  • womöglich mehr Elternarbeit (mehrere Fragen z. B. Was hat mein Kind heute gemacht?)
  • mehr Beobachtungen aufgrund entstehender Dynamiken (wie verhalten sich Kinder mit erhöhten Förderbedarf, schüchterne Kinder?)
  • vorrangig werden Stärken gefördert, mögliche Defizite oder Schwächen werden nicht ausgeglichen
  • Widerspruch gegenüber anderen pädagogischen Konzepten, bei denen Materialien eine zentrale Rolle spielen z. .B. Fröbel, Montessori
  • womöglich größerer Fokus auf Spielsachen außerhalb der Einrichtung z. B. zu Hause
  • nicht für jedes Kind geeignet z. B. schüchterne Kinder können in diesem System „untergehen“
     

Wie sieht der pädagogische Alltag im spielzeugfreien Kindergarten aus?  


Zu Beginn des Projektes wird erfahrungsgemäß zuerst Langeweile entstehen, da das kindliche Spiel nicht mehr überwiegend vom Überfluss an Konsumgütern und den vorgegebenen Produkten der Spielindustrie geprägt ist. Die meisten vorgefertigten Spielsachen geben kaum Freiraum für die Gestaltung und die eigene Kreativität. Der Fokus im spielzeugfreiem Kindergarten richtet sich jedoch auf das kreative Spiel und die Ideen der Kinder. Während der spielzeugfreien Zeit entfallen sämtliche Rituale und festgelegten Abläufe für einen zuvor festgelegten Zeitabschnitt. Jeder Tag ist somit individuell. Hintergrund für die freie Struktur ist es, dass das Spielgeschehen der Kinder nicht durch den Beginn des gemeinsamen Stuhlkreises unterbrochen wird. Die Kinder können selbst ihren eigenen Rhythmus entwickeln.
 

  • Einleitung der spielzeugfreien Zeit mit einem kurzen Morgenkreis, indem nochmals die Regeln besprochen werden
  • frei Wahl der Kinder bezüglich Frühstückszeit, Spielpartner, Spielort und  Spielmaterialien
  • Spaziergänge und Ausflüge z. B. in den Wald dienen zur Beschaffung neuer Materialien
  • Am Ende des spielzeugfreien Tages kann eine Kinderkonferenz erfolgen, um Bedürfnisse und Ideen der Kinder abzufragen.


Wie bereits erwähnt, sollten während dieser Zeit auf feste Angebote verzichtet werden. Dies gilt jedoch nicht für den DAZ Unterricht oder Besuche von Logopäden, etc. Informiere die Lehr- und Fachkräfte im Vorhinein über das Projekt und beziehe sie dadurch mit ein. Im Idealfall können sie ihre Stunden inhaltlich an das Projekt anpassen.
Wichtig ist, dass du dich durch eventuelle Anlaufschwierigkeiten nicht entmutigen lässt. Denke daran, dass die die Umstellung und der „neu begonnene Freiraum“ zu Beginn für alle Beteiligten nicht einfach ist.

 

Welche Materialien können während dieser Zeit verwendet werden?

 

Heutzutage existiert ein großes Spektrum an qualitativ hochwertigem Spielzeug. Für jede Altersgruppe und jedes Bedürfnis gibt es das passende Angebot, was die verschiedensten Entwicklungsbereiche fördert wie z. B. Bauklötze in verschiedenen Formen und Farben, Rechen- oder Sprachförderspiele.Es ist ein Irrglaube vieler, dass während einer spielzeugfreien Zeit der Raum leer sein muss. Es geht um die bewusste Auswahl der Spielsachen und den Verzicht auf Fertigspielzeug. Gemeinsam mit den Kindern kannst du vorab entscheiden, welche Materialien sie für ihre kreativen Spiele und Ideen benötigen.
 

 Materialien, die die Fantasie, den Forscherdrang und die Eigeninitiative anregen sind z.B.:

  • Zeitungen zum Basteln und Falten
  • Kartons, Kisten oder Klopapierrollen zum Bauen von Häusern oder Murmelbahnen
  • Naturmaterialien z. B. Kastanien, Steine, Blätter, die gemeinsam mit den Kindern gesammelt werden können- hier können z. B. Legearbeiten/Mandalas gestaltet werden
  • Tücher für Tänze oder Verkleidungen und Rollenspiele
  • Kissen/Decken zum Höhle bauen
  • Seile zum Legen von Straßen oder Parcours
  • Möbeln z. B. Stühle und Tische zum Bauen von Höhlen  


Du kannst auch die Eltern vorab bitten, ob Sie von zu Hause Verpackungen oder Stoffe und Alltagsgegenstände mitbringen können. Auch können die örtlichen Betriebe wie eine Schreinerei gefragt werden, ob sie geeignete Holzreste zur Verfügung haben. Wichtig dabei ist, dass die Materialien schadstofffrei und ungefährlich sind.

 

Gibt es eine alternative oder abgemilderte Form zum spielzeugfreien Kindergarten?

 

Für viele Einrichtungen ist die ursprüngliche Form der spielzeugfreien Zeit nicht oder nur schwierig durchführbar. Gründe hierfür können Zeitmangel oder eines der Nachteile sein, die vorher beschrieben wurden. Betroffene Einrichtungen müssen hier nicht ganz auf das Projekt verzichten. Es gibt die Möglichkeit eine „abgemilderter Form“ in die Praxis einzuführen.
 

  • Kürzere Dauer von ca. 1-2 Wochen
  • 1x pro Woche einen spielzeugfreien Tag einführen
  • nicht das ganze Spielzeug entfernen (Spielmaterial, wie z. B. Bauklötze oder Murmeln bleiben erhalt)

 

Wie funktioniert die Rückkehr zum regulären pädagogischen Ablauf ?


Am Ende des Projektes werden die weggeräumten Spielsachen, Malutensilien, Bücher und Kuscheltiere gemeinsam mit den Kindern wieder in den Alltag der Gruppe integriert. Bespreche mit den Kindern, ob wirklich alle Materialien zurück kommen sollten. Du kannst die Nachbereitung des Projektes auch für eine anonyme Elternbefragung nutzen. Das Feedback der Eltern aber auch der Kinder ist hilfreich, um Erfahrungswerte bei einer womöglichen Wiederholung des Projektes mit einfließen zu lassen.

 

Bild: shutterstock_633338528

Quellen:

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/freispiel-spiele/1399/

http://www.spielzeugfrei.ch/wp-content/uploads/2015/07/1109_Broschuere_Spielzeugfreier_Kindergarten_Layout_Endversion_mit_Erscheinunsjahr.pdf

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