Allein in den Jahren 2015 und 2016 wurde für fast 160.000 Kinder unter sechs Jahren ein Asylantrag gestellt (Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Das „Deutsche Jugendinstitut“ nahm diese Ausgangssituation zum Anlass, zwischen Januar und März 2016 eine bundesweite Umfrage zu initiieren, an der insgesamt über 3600 Kindertagesstätten teilnahmen. Das Ergebnis: Zu diesem Zeitpunkt gaben bereits mehr als ein Drittel der befragten Einrichtungen an, ein bis zwei Flüchtlingskinder zu betreuen. Heute (November 2017), dürften die Zahlen weiter gestiegen sein. Diese Kinder haben laut Gesetz einen Anspruch auf einen Platz in der Krippe oder in einem Kindergarten. Diese Regelung ist auch sinnvoll, denn so haben die Kinder die Möglichkeit zumindest ein wenig die deutsche Sprache zu lernen und sich mit unserer Kultur, unseren Sitten und Gebräuchen sowie unseren Normen und Werten vertraut zu machen, bevor Sie schulpflichtig werden. Die Einrichtungen selber werden dadurch aber vor große Herausforderungen gestellt und sehen sich mit vielen Problemen konfrontiert:

 

  • Häufig müssen zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden, obwohl die Einrichtung bereits ausgelastet ist, was die zur Verfügung stehenden Plätze angeht. Es mangelt zudem oft ohnehin an geeignetem pädagogischem Fachpersonal.
  • Die Kommunikation mit den Flüchtlingsfamilien ist schwierig und zeitaufwändig für alle Beteiligten, weil zum Beispiel Dolmetscher hinzugezogen werden müssen und weil in den Heimatländern eine vorschulische institutionelle Betreuung von Kindern einfach nicht vorgesehen ist.
  • Oft sehen es Eltern von Kindern ohne Migrationshintergrund kritisch, wenn Flüchtlingskinder aufgenommen werden. Viele Familien, gerade in Städten und Ballungszentren, haben Angst, deshalb keinen Betreuungsplatz für das eigene Kind zu erhalten.
  • In Einrichtungen, die bereits von vielen Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden, ist eine Förderung der einzelnen Kinder ohnehin oft schon schwierig, weil es an zeitlichen und personellen Ressourcen für Sprachförderung und Elternarbeit mangelt.
  • Viele Flüchtlingskinder sind traumatisiert und kommen aus einem komplett gegensätzlichen kulturellem und sozialen Umfeld. Die Kinder bräuchten eigentlich viel Ruhe, Zeit und Zuwendung, damit sie eine Chance haben ihren Platz in einer Kindergarten- oder Krippengruppe zu finden. Individuelle Ansätze der Integration scheitern aber häufig schon an den strukturellen Bedingungen.

 

 Die Aufzählung könnte sicherlich noch um weitere Punkte ergänzt werden. Die Voraussetzungen, um Flüchtlingskinder in deutschen Kitas und Krippen zu integrieren und auch die Familien zu erreichen sind also denkbar schlecht. Welche Möglichkeiten aber gibt es, damit dieses Vorhaben trotz widrigster Umstände gelingen kann?

Die kurze Filmsequenz zeigt ein Experten-Interview zur aktuellen Lage von Flüchtlingskindern in Kindergärten in Schleswig-Holstein. Dabei geht es auch um die Frage, wie diese teilweise traumatisierten Kinder und ihre Familien bestmöglich integriert werden können.

 

 

Pädagogische Teams stärken und weiterbilden

 

Die Ursachen von Flucht und Vertreibung sind vielseitig, die Gruppe der Flüchtlinge und Asylbewerber ist keinesfalls homogen. Es macht durchaus einen Unterschied, aus welchem Land Flüchtlingskinder stammen und welchen kulturellen und religiösen Hintergrund sie haben. Auch die individuelle Fluchtgeschichte hat Einfluss darauf, wie leicht oder eben schwer ein Kind sich in der Kita eingewöhnt. Wichtig ist daher, dass Pädagogische Teams so gut wie möglich vorbereitet werden, bevor Flüchtlingskinder aufgenommen werden. Natürlich ist das nicht immer möglich. Aber grundsätzlich sollten die Einrichtungen versuchen so viele Informationen wie möglich über die Geschichte der betreffenden Familien zu erfahren. Es ist sinnvoll, die zuständigen Behörden direkt zu kontaktieren und auch um Hilfe zu bitten, wenn es beispielsweise darum geht einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Wenn möglich, sollte eine Teamssitzung zum Thema einberufen werden, in der alle bekannten Informationen über die Neuzugänge gesammelt werden. Alle Teammitglieder bekommen zudem die Möglichkeit ihren Sorgen und Befürchtungen Ausdruck zu verleihen – es macht keinen Sinn, vor Problemen die Augen zu schließen. Davon abgesehen sollten zumindest diejenigen Kolleginnen und Kollegen, in deren Gruppe Flüchtlingskinder aufgenommen werden, die Möglichkeit bekommen eine Fort- oder Weiterbildung zum Thema zu besuchen. Bei derartigen Veranstaltungen werden wichtige Aspekte wie die Auswirkungen von Traumata auf Kinder und Familien angesprochen. So fühlen diese sich möglicherweise besser vorbereitet.

 

Geeignete Interkulturelle Ansätze verfolgen und individuell umsetzen

 

Über interkulturelle Pädagogik ist viel geschrieben worden. Es gibt zahlreiche Kitas, die häufig Kinder aufnehmen, die kein Wort deutsch verstehen und sprechen und deren Eltern sich ebenfalls nicht gut auf deutsch verständigen können. In der Regel haben diese Kinder aber keine Fluchterfahrungen machen müssen. Für Kinder ist alles, was sie im Zusammenhang mit Krieg, Flucht und wirtschaftlicher Not erleben müssen extrem beängstigend und verwirrend. Viele leiden Hunger, sind gezwungen ihr Spielzeug zurück lassen oder haben im schlimmsten Fall sogar ein Familienmitglied verloren. Während der Flucht erfahren die Kinder häufig Argwohn, manchmal offene Feindseligkeit. Sehr schwer für Kinder zu verkraften ist aber auch die Tatsache, dass sie ihre Eltern ebenso ängstlich und verstört erleben wie sie sich selbst fühlen. Die wichtigsten Bezugspersonen der Kinder sind überfordert mit der Situation und oft selbst traumatisiert und können daher nur wenig Trost spenden und Halt geben. Gleichzeitig entwickeln die betroffenen Kinder oft ein sehr inniges Band zu ihren Eltern und jede Trennung löst große Ängste aus. All diese Faktoren tragen, neben dem häufig nicht geringen „Kulturschock“ und der Sprachbarriere dazu bei, dass die Eingewöhnung von Kindern mit Fluchterfahrung eine große Herausforderung sein kann. Pädagogische Fachkräfte brauchen Geduld und Fingerspitzengefühl, damit sich ein Flüchtlingskind in eine bestehende Kindergruppe integrieren kann. Für die Zukunft der betreffenden Kinder ist dies ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität, denn der Kita-Alltag bietet ihnen dank seiner kindgerechten Struktur, der wertschätzenden Atmosphäre, der transparenten Regeln und der wiederkehrenden Rituale Sicherheit und Orientierung. Im Kindergarten dürfen die Flüchtlingskinder ihre Kindheit wieder ausleben.

Bei allen Problemen, die auf pädagogische Fachkräfte zukommen, wenn Flüchtlingskinder in der Einrichtung aufgenommen werden: Es gibt auch viele Möglichkeiten, wie allen Beteiligten die Situation erleichtert werden kann.

 

  • Wichtig ist, dass die Kinder der betreffenden Gruppen wenn möglich darauf vorbereitet werden, dass bald ein neues Kind mit einer besonderen Geschichte aufgenommen wird. Dies kann mithilfe  altersgerechter Bilderbüchern gelingen und durch die Thematisierung von Flucht und interkultureller Vielfalt in Gesprächskreisen.
  • Die Verständigung mit den Flüchtlingskindern gelingt am Anfang besser mithilfe von Bildkarten und Bildwörterbüchern.
  • Weil Kinder in der Regel auf andere Kinder unvoreingenommen zugehen und Kinder untereinander ohnehin schnell Kontakt knüpfen, könnten ältere Kinder als Paten für den Neuzugang benannt werden.
  • Bei aller Rücksichtnahme sollten Flüchtlingskinder von Anfang an in alle Gruppenaktivitäten mit einbezogen werden, soweit das möglich ist. Wenn die betreffenden Kinder sich zunächst isolieren und eine Beobachtende Rolle einnehmen, so ist das jedoch zu akzeptieren.

 

Willkommenskultur leben und auf Eltern zugehen

 

Oft ist es schwieriger mit den Eltern der Flüchtlingskinder in Kontakt zu kommen als eine positive Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Organisatorische Dinge wie Anmeldeformalitäten, die Einhaltung von Bring- und Abholzeiten oder die Gestaltung der Eingewöhnung lassen sich nicht nonverbal oder mit Bildkarten erläutern. Hier ist die Hilfe eines Dolmetschers gefragt. Wenn möglich sollten die wichtigsten Formulare und Info-Broschüren in arabischer Sprache vorliegen. Von den Verständigungsproblemen abgesehen sind es aber oft die kulturellen Unterschiede, welche die Zusammenarbeit mit den Eltern der Flüchtlingskinder zur einer Herausforderung werden lassen. In den meisten Herkunftsländern ist die Institution „Kindergarten“ völlig unbekannt. Es bedarf viel Geduld, Respekt und Verständnis für die Situation der Familien, damit eine Integration gelingen kann. Es hilft aber, wenn alle Teammitglieder den Kindern und ihren Eltern vermitteln, dass sie willkommen sind. Und das funktioniert durch einen freundlichen, wertschätzenden Umgang auch ohne Worte.

Viele weitere nützliche Informationen zum Thema Integration geflüchteter Familien findest du hier.

 

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